Aus aktuellem Anlass

Forschungsprojekt zum missbräuchlichen Einsatz von Medikamenten in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche von 1946 bis 1980 veröffentlicht Ergebnisse

Worum ging es in dem Forschungsprojekt?
In dem Projekt sollte der missbräuchliche Einsatz von Medikamenten an Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, der stationären Behindertenhilfe und Psychiatrie, sowie in Heimen im Rahmen der Kinderverschickung seit Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen bis 1980 definiert, erfasst und beschrieben werden. Es beinhaltet Antworten auf die Frage nach Verantwortungsstrukturen, die Rolle von Pharmaunternehmen, Ärzten und Ärztinnen, Sozialleistungsträgern und Einrichtungen.

Wer gab das Forschungsprojekt in Auftrag? Wer führte es durch? War Hephata daran beteiligt?
Das „Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW“ gab das Forschungsprojekt in Auftrag. Ein Forschungsteam der Uni Düsseldorf rund um den Medizinhistoriker Prof. Dr. Heiner Fangerau übernahm das Projekt und erstellte eine Studie dazu. Die Evangelische Stiftung Hephata beteiligte sich an der Studie und stellte Akten aus der damaligen Zeit zur Verfügung.

Warum bat Hephata darum, in die Untersuchungen des Forschungsprojekts aufgenommen zu werden?
Auslöser für Hephatas Beteiligungsgesuch war ein Beitrag des Deutschlandfunks, in dem ein ehemals von Hephata betreuter Mensch Folgendes sagte: „Wir haben Medikamente in der Jugendzeit bekommen, also in der Pubertätszeit überwiegend starke Beruhigungstabletten, Psychopharmaka – wahrscheinlich auch gegen den Sexualtrieb. Und da war man so benommen, dass man gar nicht mehr Herr der Lage war.“ Die Verantwortlichen Hephatas hörten das und beschlossen, dem nachzugehen, um das Handelns Hephatas in der frühen Vergangenheit besser verstehen zu können und möglichen betroffenen Menschen gegenüber sprechfähig zu werden.

Zusammenfassung der Studienergebnisse zur Evangelischen Stiftung Hephata:
Die Evangelische Stiftung Hephata wurde anhand von 106 Bewohnerakten aus den Jahren 1945 bis 1980 untersucht. Trotz etlicher schlecht gepflegter Akten konnten einige wesentliche Beobachtungen gemacht werden, und zwar sowohl positive als auch negative: Auf der einen Seite ist der Blick auf die Kinder bei Hephata weniger abwertend im Vergleich zu anderen Einrichtungen. Ärztliche und pädagogische Berichte heben häufiger auch positive Eigenschaften hervor, und selbst herausfordernde Kinder werden oft verständnisvoller beschrieben als in überweisenden Kliniken. In den Akten finden sich Hinweise auf Anerkennung und Verständnis durch das pädagogische Personal – ein Versuch, nicht nur negativ zu urteilen. Während manche Kinder stark medikamentiert werden, gibt es auch viele Fälle, in denen trotz auffälligen Verhaltens kaum oder gar keine Psychopharmaka verordnet werden. Teilweise werden Medikamente auch bewusst wieder abgesetzt oder Blutbilder kontrolliert, um Nebenwirkungen zu überwachen.

Auf der anderen Seite finden sich Hinweise auf Misshandlungen, Fixierungen und auch sexualisierte Gewalt durch ältere Mitbewohner. Hinweise auf Arzneimittelstudien gibt es nicht, jedoch zeigt sich ein problematischer Umgang mit Psychopharmaka: Einwilligungen der Sorgeberechtigten fehlen fast immer, Nebenwirkungen werden selten erkannt und - mit dem Wissen von heute - teils gefährliche Medikamentenkombinationen auch bei Kindern eingesetzt. Ab Mitte der 1960er Jahre nimmt die Gabe von Neuroleptika und Sedativa stark zu. Leider nicht auszuschließen ist, dass in einzelnen Fällen Überdosierungen oder falsche Behandlungen zu schweren Gesundheitsschäden oder Todesfällen geführt haben können. Insgesamt zeigt sich Hephata im Hinblick auf das Thema Medikamente als Teil eines breiteren Musters der Nachkriegsfürsorge, in dem ärztliche Entscheidungen zentral getroffen wurden, was auf uns heute oft unkontrolliert und missbräuchlich wirkt: „Im Rahmen des zeitgenössischen Umgangs fügt sich die Hephata im Hinblick auf den Umgang mit Medikamenten in das sich auch für andere Einrichtungen abzuzeichnende Bild ein.“ (Studie, S. 166).

Dr. Harald Ulland, Hephata-Vorstand, im Oktober 2025 zu den Studienergebnissen:
„Die Ergebnisse der Studie zeigen leider, dass auch die Arbeit Hephatas nicht frei von Gewalt und fehlerhafter Medikamentenvergabe war. Kinder haben in der Obhut Hephatas teilweise großes Leid und Schmerzen erfahren. Das bedrückt uns sehr, und wir bitten die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen von Herzen um Verzeihung. Für ein wertegeleitetes Unternehmen wie Hephata ist dies besonders schmerzlich, auch wenn wir wissen, dass zeitweiliges Versagen zum Menschsein dazugehört. Natürlich wollen wir  Missstände möglichst vermeiden. Dass es bei Hephata offenbar keine Versuchsreihen an den Kindern und Jugendlichen gegeben hat, soll nichts entschuldigen, aber es sollte doch notiert werden. Auch, dass Kinder und Jugendliche eher positiv wahrgenommen und nicht auf ihre Defizite reduziert wurden zeigt, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ihre Arbeit mit Herz und aus Überzeugung getan haben.
Die Untersuchung betrifft die Zeit bis 1980. Seither hat sich vieles zum Besseren gewandelt. Die sichere und verantwortungsvolle Gabe von Medikamenten hat für uns längst höchste Priorität. Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen können sich darauf verlassen, dass jede Verordnung durch ärztliche Fachkräfte erfolgt, die Medikamente fachgerecht gelagert, sorgfältig vorbereitet und nach den ärztlichen Vorgaben verabreicht werden. Alle Mitarbeitenden sind geschult, den gesamten Prozess genau zu dokumentieren und bei Abweichungen sofort angemessen zu reagieren. Darüber hinaus gibt es interne Kontrollen und klare Vorgaben zum Umgang mit Betäubungsmitteln und zur fachgerechten Vernichtung von Medikamenten. Damit stellen wir sicher, dass jederzeit mit Bedacht, Sorgfalt und nach höchsten Qualitätsstandards gearbeitet wird. Das Leben der von uns betreuten Menschen in keinerlei Hinsicht zu gefährden, sondern bestmöglich zu schützen und zu fördern, ist unser Anspruch. Sie sind bei uns in guten Händen.“

Hier vollständige Studie zum Download (Hephata-Ergebnisse unter 7.1.5):

https://www.beltz.de/fachmedien/sozialpaedagogik_soziale_arbeit/produkte/details/57361-missbraeuchlicher-einsatz-von-medikamenten-an-kindern-und-jugendlichen-in-nordrhein-westfalen-seit-der-gruendung-des-landes-bis-in-die-1980er-jahre.html