Ich bin Frau Respekt

Wenn Brygida Baehr diesen Satz zu Ihnen sagt, haben Sie ihn sofort: Respekt. Vor dieser stolzen und ruhigen Frau, die mit ihrem ganz leichten osteuropäischen Akzent scheinbar niemals ein Wort zu viel verliert.

„Mein Name ist Brygida Baehr, ich bin 44 Jahre alt, deutsche Staatsbürgerin, aber in Polen geboren. Meistens fahre ich einmal im Jahr in meine alte Heimat nach Masuren in Polen und mache dort Urlaub. Ich arbeite in den Hephata Werkstätten seit 2002 und wohne seit 2005 in einem Hephata-Haus in Mönchengladbach-Wickrath.“

Die andere Frau ist Heike Gietzen. Die Sozialpädagogin arbeitet seit 1987 bei Hephata. „Heute bin ich Teamleiterin in der Hephata Wohnen gGmbH und unterem anderen zuständig für das Wohnangebot, das Frau Baehr wahrnimmt.“ Die beiden Frauen lächeln sich an. Sie kennen sich schon lange, das merkt man direkt, manchmal ergänzt die eine sogar den Satz der anderen.

Baehr und Gietzen machen eine Tandem-Ausbildung für Frauen mit und ohne Lernschwierigkeiten zu Wendo-Trainerinnen, einem inklusiven Modell-Projekt vom „Zentrum für inklusive Bildung und Beratung ZIBB e.V.“ Drei Jahre lang werden sie nun gemeinsam jeden zweiten Monat, vier Tage lang drei Ausbildungsmodule durchlaufen. Bis Februar 2021 werden sie in Selbst-Behauptungs- und Selbstverteidigungsstrategien für Mädchen und Frauen geschult, um so danach, nach abgeschlossener Ausbildung, selbst Wendo-Kurse anbieten zu können. Doch was ist eigentlich Wendo?

Gietzen: „Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das erklärt, was Frau im Wendo machen und erleben kann: Eine von uns stellt sich in einen Kreis. Von außen tritt dann jemand auf sie zu und will ihr einen Rasenmäher verkaufen. Die Übung besteht darin, diesen abzulehnen, egal was die Verkäuferin sagt oder macht. Nach dem Motto: Ich will das nicht, bitte bleiben sie außerhalb meiner Wohnung. Die Rollen werden immer wieder getauscht, so dass jede Frau mal im Kreis steht und mal selbst die Verkäuferin ist. Es geht bei dieser Übung darum, zu trainieren, NEIN zu sagen. Sich zu trauen, seine Position zu vertreten.“

Baehr: „Bei einer anderen Übung haben wir Bretter so aufgetürmt auf dem Boden, dass man sie zertreten konnte. Dann habe ich an meine Probleme gedacht, und dann habe ich tatsächlich das Brett kaputt getreten. Ich hätte nie gedacht, dass ich so viel Kraft habe, um das Brett in der Mitte zu zertreten. Ich musste diesen Hass aus mir rauslassen und danach ging es mir richtig gut.“ Die Sozialpädagogin Gietzen erklärt dazu: „Ich erlebe und merke also, dass ich so viel Kraft in mir habe, dass ich ein Brett zertreten kann. Ich kann die Kraft in mir bündeln. Und denke, wow, was habe ich für eine Kraft in meinem Bein und in meinem Fuß. Diese Übung ist zum Beispiel eine gute Vorbereitung, um Selbstverteidigungstechniken zu erlernen.“ Andere Übungen geben den Frauen Hilfestellungen, achtsam mit sich zu sein, für sich gut zu sorgen. Nicht zu explodieren oder nichts in sich hinein zu fressen und darüber krank zu werden. Baehr taut langsam auf – im Interview und scheinbar auch in ihrem Leben: „Ich lerne grade das erste Mal in meinem ganzen Leben, NEIN zu sagen. Wenn ich zum Beispiel jemanden besuche, und der ist betrunken oder aggressiv, dann gehe ich jetzt einfach wieder. Ich weiß jetzt, dass ich gehen kann und das nicht aushalten muss.“

Zum einen lernen die Teilnehmerinnen der Ausbildung also Wendo für sich selbst anzuwenden, sich selbst damit zu helfen. Parallel dazu aber lernen sie natürlich auch, diese Inhalte weiterzugeben, anderen Wendo vermitteln zu können. Da gibt es zum Beispiel die Seminarheldinnen, unterschiedliche Rollen, die mit Bedacht und Verantwortung übernommen werden müssen. Ein kleiner Bilderrahmen wird dann mit einem die Aufgabe erklärenden Text und dem Foto der nun zuständigen Frau versehen. Baehr lacht ein wenig verlegen: „Ich bin Frau Respekt. Hier ein Beispiel, was meine Aufgabe ist als Frau Respekt: Bei unserem Training gab es zwei Gruppen, die gegeneinander gespielt haben. Am Ende gab es ein Gewinnerteam. Eine Teilnehmerin aus der Gruppe, die verloren hatte, war nach dem Training sehr wütend und hat sich nicht korrekt verhalten. Meine Aufgabe war dann zu entscheiden, ob sie etwas Falsches gemacht hat. Ich saß dann mit der Seminarleiterin zusammen und wir besprachen ihr Verhalten. Wir können grüne, gelbe und rote Karten verteilen. In dem Fall musste ich der Frau am nächsten Tag die gelbe Karte zeigen. Und ihr erklären, dass sie sich absolut falsch verhalten hat und sie sich nicht ein weiteres Mal so verhalten darf.“

Ein Stück Verantwortung also, das Brygida Baehr als „Frau Respekt“ übernehmen muss. Und das macht sie auf jeden Fall sehr überzeugend. Die gebürtige Polin wirkt extrem entspannt, man kann sich kaum vorstellen, dass sie richtig wütend werden kann. Darauf antwortet sie: „Ich fühle mich jetzt auch frei. Ich weiß, wenn ich sauer bin, dann kann ich aufstehen und gehen. Aber ich kann auch bleiben und sagen, was ich denke. Früher konnte ich das nicht. Das habe ich beim Wendo gelernt. Ich möchte auch den Frauen bei meiner Arbeit zeigen, wie das geht. Also nein zu sagen und zu sagen, was man möchte. Oder auch zu gehen, wenn man gehen möchte.“

Gietzen möchte Menschen darin unterstützen, ihre Lebensentwürfe zu entwickeln, ihre Stärken zu entdecken und mit diesen Stärken dann auch unterwegs zu sein. Und an den Stellen, wo die Stärken nicht ausreichen, Räume zu kreieren, in denen die Menschen neue Stärken entdecken können.

Brygida Baehr und Heike Gietzen - zwei starke Frauen, die zueinander passen. Und die ab Februar 2021 dann Hephatas erste Wendo-Trainerinnen sein werden. Da bleibt eigentlich nur noch eins zu sagen: Respekt!

 

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