Einfach nicht wert - ein Song, der bewegt

"Wenn ich singe, dann spüre ich die Musik im ganzen Körper“

Von Manuela Hannen

„Liebenswert“ ist das Wort das Jasmin sofort einfällt, wenn sie über Andreas nachdenkt, Jasmin und Andreas, das ist die Geschichte einer besonderen Art des Vertrauens. Das geht soweit, dass Jasmin ihm ihre Lebensgeschichte anvertraut, ihm alle ihre Verletzungen offenbart und er, der musikalische Kopf der inklusiven Band „Die schrägen Vögel“, hat ihren Text über ihr Leben in einen Songtext verwandelt und ihr ein Lied auf ihren zarten Körper geschrieben – einen Punksong, in dem Jasmin ihre ganze Wut rausschreien kann.

„Ich habe mich so oft gefühlt als sei ich nichts wert. Zu dumm für alles,“ sagt sie und ihre grün-braunen Augen bekommen eine Traurigkeit, wenn sie weitererzählt. „Wir hatten immer Angst, ich habe böse Erfahrungen in der Pflegefamilie gemacht“, mehr möchte Jasmin nicht sagen.

Erst in einem Kinderheim hat sie erfahren, was es bedeutet sich zuhause zu fühlen und dass sie doch etwas kann: Singen. „Ich erinnere mich noch, wie ich das erste Mal im Chor mitsingen durfte. Das hat sich gut angefühlt“, sie sagt es und strahlt. Das erste Mal in unserem Gespräch. Musik ihr Zauberwort. „Musik spüre ich im ganzen Körper, es ist ein befreiendes Gefühl.“ Da war Jasmin neun Jahre alt.

Ihr ganzes Leben ist begleitet von Zweifeln und Versagensängsten, aber eines wusste sie schon immer, sie wollte singen. Und dann hat sie all ihren Mut zusammengenommen und gefragt ob sie in der inklusiven Band, die Andreas leitet, mitsingen kann. „Ich habe mich in der Band sofort wohl gefühlt, ich habe gemerkt, ich stehe mit meinem Problem nicht alleine da, muss mich nicht schämen.“

Um ihren Song zu schreiben, da „bin ich in den Wald gefahren, habe mich auf einen schönen Platz gesetzt. Ganz warm war es da und dann ist es nur so aus mir rausgeflossen“, beschreibt sie die Entwicklung des Songs. Es folgten viele Gespräche und zahllose Termine, lange haben Jasmin und Andreas an Text und Melodie gefeilt. Und dann ging es ins Studio. „Ich war unendlich aufgeregt. Aber auch stolz.“

Stolz sind auch ihre Kinder, stolz was die Mama macht. „Ich wollte nie Kinder haben, hatte immer Angst davor. Angst das ich meine Kinder misshandele, so wie die mich misshandelt haben“ sagt sie leise. Und heute sind ihre Kinder ihr großes Glück.

Mit ihrem Song möchte Jasmin Menschen berühren, ihnen Mut machen, auch schlechte Zeiten kann man aushalten, überleben und dann muss man nach vorne schauen. Das tut sie auch immer wieder.

„Gewisse Dinge kenne ich noch nicht von mir. Aber ich habe endlich das Gefühl, das ist der richtige Weg und ich habe Menschen um mich herum, die mich unterstützen,“ sagt sie und schaut mich zuversichtlich an.


Manuela Hannen leitet die Abteilung Kommunikation der Evangelischen Stiftung Hephata.

 

"Ich schrei sie raus die ganze Wut, das Schicksal hat mich ausgesucht"

Eines Tages sprach Jasmin mich an, wie ich denn vorgehe, wenn ich eigene Songs schreibe. Sie hätte auch großes Interesse, einmal einen eigenen Song zu entwickeln. Wir vereinbarten, dass sie mir zuerst den Text aufschreiben solle, den sie gerne musikalisch präsentieren wollte.

Die Geschichte haute mich um. Es war die Geschichte einer Kindheit in einer Pflegefamilie, in der Gewalt und Hass an der Tagesordnung waren. Die Geschichte eines Kindes, das geliebt werden wollte, aber immer nur Abneigung erfuhr. Das in den Wald lief, um dort seine Wut und Verbitterung rauszubrüllen, um nicht unterzugehen. Was für eine Geschichte – die Geschichte dieser Frau, die ich heute als liebevolle Mutter und willensstarke Frau erlebe.

„Wo die Sprache aufhört, beginnt die Musik.“ Dieser Satz war für mich in meiner Tätigkeit für Hephata von Anfang an sehr bedeutsam, deckte er sich doch mit meinen Erfahrungen gerade mit Menschen mit starken kognitiven Einschränkungen. Die Sprache „Musik“ verstand fast jeder. Und so war die Gründung einer Musikband in der Stiftung ein logischer Schritt in meiner musikalischen Zusammenarbeit mit Menschen mit Handicap. Seit ein paar Jahren existiert die Band „Frauke & die schrägen Vögel“. Vor einiger Zeit stieß Jasmin Müller zu uns, eine talentierte Sängerin, die gut in das bestehende Gefüge der Band passte. Sie ergänzt unsere Sängerin Frauke Schmidt, was zur Folge hatte, dass wir den Bandnamen in „Die schrägen Vögel“ verkürzen mussten.

Daraus sollte ich nun einen Song machen? Ich war skeptisch, fühlte mich aber auch geehrt. Mir war bewusst, dass Jasmin großes Vertrauen in mich setzte und es für sie nicht einfach gewesen sein konnte, sich mir gegenüber so zu öffnen. Ein guter Text musste her. Ihr Wille, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, sollte deutlich zum Ausdruck kommen. Ich kritzelte erste Textzeilen zu einem möglichen Refrain. Parallel entstand dann auch eine Melodie. Irgendwann stand der Song im groben Gerüst, ich war zufrieden mit dem Ergebnis. Aber vor allen Dingen sollte Jasmin damit zufrieden sein. Und das war sie auch. Was für eine Musikrichtung wollten wir nun zugrunde legen? Rock, Punk oder vielleicht sogar eine Ballade? Wir probierten verschiedene Richtungen aus und schnell stand für Jasmin fest: der Song muss „krachen“ – also Punk!

Die Studioarbeit war noch einmal anstrengend, war dies doch absolutes Neuland für sie. Anfangs sang sie noch viel zu brav für einen Punk-Song und traute sich nicht so richtig, aus sich herauszugehen. Auch der Schrei, für den sie als Kind in den Wald lief, wollte nicht authentisch rüber kommen. Ich fuhr extra mit ihr in ein Waldstück, um einen Original-Schrei hinzubekommen. Was ich aber nicht bedacht hatte - im Wald tauchen immer wieder Spaziergänger auf.  Also fuhren wir besser doch wieder zurück ins Studio. Letztendlich bekamen wir den Schrei im Studio doch zufriedenstellend hin und der Song konnte fertig gestellt werden. Und er ist es definitiv wert, gehört zu werden!

Und hier geht es zum Songausschnitt!

Andreas Neugebauer ist Hephatas Beauftragter für inklusive Entwicklung.

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